Als Sápmi bezeichnet man ein Siedlungsgebiet im Norden Skandinaviens, das sich über Schweden, Norwegen, Finnland und bis hin zur Kola-Halbinsel in Russland erstreckt und als primäres Siedlungsgebiet des Volks der Sami angesehen wird. Diese sind die einzige indigene Minderheit in Europa. Aber wer sind die Samen überhaupt?
Sápmi – der Lebensraum der Samen
Die Samen oder Sami gehören zu den Ursprungsvölkern. Weltweit gibt es 370 Millionen Menschen in rund 90 Ländern, die zu den Ursprungsvölkern gehören. Sie machen ungefähr fünf Prozent der Weltbevölkerung aus. Alle dieser Völker haben gemeinsam, dass ihr ursprüngliches Habitat von anderen Ländern besetzt und kolonialisiert wurde. Ein Ursprungs- oder Urvolk hat eine eigene Kultur, Sprache und Lebensweise. In Skandinavien gehören rund 70.000 Menschen zum Volk der Samen. Davon leben 40.000 in der Finnmark, im norwegischen Teil von Sápmi. Ungefähr 20.000 leben in Schweden und rund 6000 in Finnland. Eine kleine Minderheit von 2000 Personen lebt in Russland.
Die Samen – einstige Nomaden und Rentierhirten
Die erste Besiedlung des Nordens erfolgte zum Ende der Eiszeit, als sich das Inlandeis zurückzog und sich Menschen an den Küsten niederließen, wo sie vom Fang von Fisch und dem Fleisch wilder Rentiere lebten und ein einfaches Leben als Jäger und Sammler führten. Spuren dieser Besiedlung zeigen sich in Sàpmi zum Beispiel in den Felsritzungen am Alta-Fjord in Norwegen, wo sich auch ein Museum befindet. Dort wird auch die größte Sammlung menschlicher Spuren der Region aufbewahrt. Die Felsritzungen, sogenannte Petroglyphen, zeigen Jagdwild wie Bären, Elche oder Rentiere. Im weiteren Verlauf der Geschichte kam es auch zu Begegnungen mit anderen Völkern im fennoskandinavischen Raum. Mit den Wikingern, ihren südlichen Nachbarn, standen die Samen früh in Kontakt. Dies belegen archäologische Funde. Darüber hinaus fanden Linguisten einige Wörter germanischen Ursprungs in der samischen Sprache vor der Lautverschiebung des Altnordischen. Schriftliche Aufzeichnungen der Samen sind leider nicht überliefert. Wie das Volk von seinen Nachbarn gesehen wurde, verraten uns nur die Aufzeichnungen aus der Wikingerzeit (circa 800 bis 1066).
Sápmi- Missionsbestrebungen und Nationalstaatlichkeit
Mit den anderen skandinavischen Völkern betrieben die Sami Handel, und so erreichten die begehrten Pelze Handelsplätze wie zum Beispiel Birka. Auch kam es gelegentlich zu gewaltsamen Übergriffen wie Raubzügen oder von offizieller Seite geforderten Steuern. Bereits in der Wikingerzeit verlangten der norwegische König oder der russische Zar – manchmal sogar beide Parteien — Abgaben von den Sami. In der frühen Neuzeit wurden Marktplätze im Norden eingerichtet, die auf der einen Seite der christlichen Mission dienten, aber auf der anderen Seite die Eintreibung von Steuern erleichterten. Der Wintermarkt in der nordschwedischen Stadt Jokkmokk ist ein gutes Beispiel dafür. Im Jahre 1602 legte König Karl IX. den Grundstein für einen offiziellen Handelsplatz, an dem Steuern erhoben und die samische Urbevölkerung erfasst wurde. Die Verwaltung übernahmen finnische Händler, die sogenannten Birkarlar, die durch diese Aufgabe schnell zu Wohlstand gelangten. Heute ist der Wintermarkt in Jokkmokk ein von den Samen durchgeführtes touristisches Ereignis, das einen unterhaltenden Charakter hat, aber dennoch einen Fokus auf Minderheitenrechte und Naturschutz in der Region legt.
Samen: Diskriminierung und Unterdrückung
Im auslaufenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert begann eine dunkle Zeit für die ethnische Minderheit, denn durch die in den 1920er Jahren immer beliebter werdende Rassenbiologie, die in erniedrigenden Untersuchungen wie Schädelvermessungen gipfelte, fand man eine Legitimation für eine Ungleichbehandlung der Samen. Da sie angeblich der restlichen Bevölkerung auf biologischer Ebene unterlegen waren, verweigerte man ihnen die gleiche Schulbildung und verbot den Samen auch in allen vier Ländern Sápmis, ihre Muttersprache zu sprechen. Es herrschte ein genereller Konsens, dass sich Mitglieder der samischen Urbevölkerung aufgrund der geringeren kognitiven Fähigkeiten nicht für andere Berufe eigneten. Auch wurde ein deutlich reduziertes Schulwissen vermittelt, um das Naturvolk nicht zu überfordern. Erschwerend kam hinzu, dass die Sami durch einen Beschluss des schwedischen Reichstags quasi enteignet wurden, da sie ab 1928 ihr ursprüngliches Siedlungsgebiet nicht für die Jagd und Fischerei nutzen durften. Die Maßnahmen hatten zur Folge, dass viele Familien begannen, ihre Herkunft zu verleugnen und sich beispielsweise als Schweden, Norweger oder Finnen ansahen. Ein gutes Beispiel ist der 2016 veröffentlichte Spielfilm Sami Blood, der die Rassismuserfahrungen der Samin Elle Marja thematisiert.
Das Sameting – die parlamentarische Vertretung der Sami
Da Sápmi im Laufe der Jahrhunderte in die vier Nationalstaaten integriert wurde, schwand das Bewusstsein der samischen Identität und erwachte erst im 20. Jahrhundert wieder. Im Jahr 1956 wurde der Nordische Samenrat gegründet, der sich länderübergreifend für die Interessen der Urbevölkerung Sápmis einsetzt. Das erste samische Parlament wurde 1972 in Finnland ins Leben gerufen. 1989 wurde eine parlamentarische Vertretung in Norwegen gegründet. Schweden folgte erst im Jahre 1993. Heute werden die Interessen der Samen in sogenannten Sametings –Parlamenten mit vergleichsweise geringem Einfluss — in vier Ländern vertreten. Es gibt diese Parlamente in:
Die ersten drei Parlamente sind von staatlicher Seite anerkannt; das nach dem Vorbild der drei anderen Parlamente im Jahre 2008 entstandene Sameting auf der Kola-Halbinsel wird von der Regierung nicht anerkannt. Gemeinsam sind die Sametings auch Mitglieder des Arktischen Rats. Dieser hat seinen Sitz in der norwegischen Stadt Tromsö. Der Arktische Rat ist seit 1996 existent und dient einem Interessenausgleich zwischen den in der arktischen Region lebenden indigenen Völkern und den benachbarten Staaten. Wichtige Anliegen des Rats sind der Klimawandel in der Arktis oder der Abbau von Bodenschätzen.
Wer zählt heute zu den Samen?
Zu früheren Zeiten zählte man jene zu den Samen, die eine eigene Rentierherde hatten und von der Zucht dieser Tiere lebten. Und heute? Heute arbeiten Sami in verschiedenen Berufen, so zum Beispiel als Journalisten, Rechtsanwälte oder Lehrer, aber das Rentier ist auch heute noch Teil der samischen Identität. Viele Sami kehren zu bestimmten Zeiten im Jahr zu den Herden ihrer Familie zurück, zum Beispiel für das Markieren der neu geborenen Kälber. Doch wer kann sich zu den Sami zählen? Laut einer Erklärung des schwedischen Sametings ist eine Person Sami, wenn zuhause Samisch gesprochen wird oder gesprochen wurde. Relevant sind unter anderem auch samische Vorfahren oder – modern gedacht – wenn ein Mensch sich als samisch identifiziert. Das Bewusstsein für die eigene Herkunft und Kultur ist für die indigene Minderheit nicht selbstverständlich, waren die Samen doch im Laufe der Jahrhunderte – wie zuvor beschrieben — verschiedenen Arten von Diskriminierung ausgesetzt.
Samische Minderheitenreche in Sápmi
Das Bewusstsein für die Rechte ethnischer Minderheiten hat im Verlauf der letzten Jahrzehnte eine positive Entwicklung vollzogen. Ein wichtiger Schritt ist, dass Norwegen im Jahre 1990 die ILO 169 ratifizierte. Dieses Übereinkommen garantiert die Rechte von indigenen Völkern. So zum Beispiel Artikel 15, der indigenen Völkern die Rechte über die auf ihrem Gebiet befindlichen Ressourcen zuspricht. Ein wahrhaft historisches Urteil fällte das höchste schwedische Gericht im Januar 2020. Dieses besagt, dass die samische Urbevölkerung von Girjas ein übergeordnetes Nutzungsrecht für das von Ihnen bewohnte Gebiet hat. Diesem stand ein Anspruch des schwedischen Staates gegenüber, der Jagd- und Fischereilizenzen an Außenstehende vergeben wollte. Das Gericht entschied, dass die Sami einen Rechtsanspruch „aus uralter Zeit“ haben. Diese Entscheidung kann bei zukünftigen Rechtsfällen als Präzedenzfall dienen. Die Entscheidung über die Nutzung Sápmis und der Ressourcen des Gebiets ist eng mit den Themen Umweltschutz und Klimawandel verknüpft. Letzterer ist für Minderheiten in arktischen Gebieten als durchaus bedrohlich anzusehen.
Sápmi: Umweltschutz und Klimawandel
Prägend für das Bewusstsein für Minderheitenrechte war der sogenannte Alta-Konflikt, der zwischen 1968 und 1982 Thema in Norwegen war. Der Ausbau der Wasserkraft auf dem Gebiet der Samen in der Finnmark war von Protesten von Umweltschützern und Samen begleitet. Durch den Ausbau des Staudamms sahen die Samen die Weidegebiete der Rentiere gefährdet, während die Umweltaktivisten eine Gefährdung der Lachspopulation des Altaelvs befürchteten. Im Laufe der Jahre wurde das Projekt durch die Intensität der Proteste immer wieder gestoppt, doch im Jahre 1982 für legal erklärt. Dennoch rückten die Proteste in Alta und Oslo die Themen Minderheitenrechte und Umweltschutz in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Konflikt zwischen Firmeninteressen und Umweltschutz wird in dem gering besiedelten Sápmi auch künftig eine Rolle spielen. So sind eigentlich umweltfreundliche Windkraftwerke in Planung, da die Windräder auf den Fjälls in Sápmi gute Bedingungen vorfinden. Dies stört jedoch die Weidegründe der Rentiere. Erschwerend kommt hinzu, dass der Klimawandel in der Arktis die Lebensgrundlage der Rentiere, die ja Teil der Identität der samischen Urbevölkerung sind, bedroht. So stehen die Samen weiterhin vor zahlreichen Herausforderungen, auch wenn sich die Situation von Minderheiten in den skandinavischen Ländern schon deutlich verbessert hat.
Titelfoto: Asaf Kliger/imagebank.schweden.se
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